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Peter Godzik, Die Lutheraner und die evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Vortrag am 22. Juli 1992 vor der Ortsgemeinschaft Stadthagen des Schaumburg-Lippischen Heimatvereins.

Eingliederung in VELKD und EKD

Lutherisches Bekenntnis gegen EKD-Unionismus (Wolf-Dieter Hauschild, Konfessionelles Selbstbewußtsein und kirchliche Identitätsangst ..., 1988, S. 27 ff., 34 ff.)

Die Gründung der VELKD ist ein direktes Ergebnis des Kirchenkampfes. Das herausragende Ereignis ist die Etablierung des Rates der Evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands (des sogenannten Lutherrats) seit dem 18. März 1936. Der Rat sollte die gemeinsame geistliche Leitung für die der Bekennenden Kirche zugeordneten lutherischen Kirchen und Werke sein, das heißt das Vertretungsorgan eines Bundes von zunächst sieben, dann elf Landeskirchen, und seine Zielsetzung bestand ausdrücklich von vornherein "in der Ausgestaltung des Bundes zur Evang.-Luth. Kirche Deutschlands", wie die Grundbestimmungen dieses Lutherrats vom 21. Oktober 1937 formulierten.

Der mit der definitiven Spaltung der Bekennenden Kirche verbundene Vorgang hat verwickelte Ursachen, die sich hauptsächlich aus der nationalsozialistischen Politik der Gleichschaltung auch der evangelischen Kirche ergaben, die aber darüber hinausreichten, wenn man die Auswirkungen des Lutherischen Einigungswerkes und des Lutherischen Weltkonvents auf das Zusammengehörigkeitsbewußtsein vor 1933 bedenkt. Und wieder spielten Preußen und die Union als negativer Bezugspunkt eine große Rolle.

Die unselige Konzeption einer Reichskirche war 1933 zunächst auch ein preußisches Produkt, angestoßen durch die phantastischen Ideen der Deutschen Christen seit 1932, auf einen realpolitischen Weg gebracht durch den EOK-Präsidenten Hermann Kapler im April 1933, dann personal repräsentiert durch Friedrich von Bodelschwingh bzw. durch Ludwig Müller.

Es gab allerdings genügend Lutheraner (meist freilich solche, die man nicht dem Lager der Konfessionalisten zurechnen konnte), welche die Reichskirche mit Überwindung der Konfessionen und Landeskirchen als Vollendung der Reformation Martin Luthers priesen. ...

In den ersten Monaten nach dem staatlichen Zusammenbruch Deutschlands lud der württembergische Landesbischof Theophil Wurm in seiner Funktion als Vorsitzender des 1941 begründeten Kirchlichen Einigungswerkes im Juli 1945 zu einer Konferenz der Kirchenführer nach Treysa vom 27. bis 31. August 1945 ein.

Drei Ansätze konkurrierten von vornherein miteinander in Fortführung des Leitungsschismas der Zeit vor 1945:

a. Wurms Einigungswerk, welches angesichts der Verfolgungssituation im NS-Staat konzipiert war, war - nur teilweise von Lutheranern und Bruderräten akzeptiert - im Jahre 1943 steckengeblieben, wirkte aber mit seinem Modell der Koalition aller nicht-deutsch­christlichen Kräfte positiv bei der Neubildung einiger Kirchenleitungen nach dem Zusammenbruch. Auf seiner Rundreise durch Westdeutschland im Juni 1945 konnte Wurm maßgebliche Männer für sein Konzept eines DEK-Neubaus gewinnen.

b. Die Bruderräte gingen zunächst von dem Anspruch aus, daß sie als Vertretung der Bekennenden Kirche die neuen Leitungen in den Landeskirchen zu stellen hätten; doch die Entwicklung verlief anders, so daß sich der Reichsbruderrat unter Martin Niemöller auf seiner ersten Tagung vom 21. bis 23. August in Frankfurt - bei Wahrung eines Mitbestimmungsanspruchs - auf Wurms Modell einließ.

c. Hans Meiser als Vorsitzender des Lutherrats bereitete, ermutigt durch ein Schreiben von August Marahrens, konsequent die Verwirklichung des 1936/37 beschlossenen Zieles durch Gründung der Vereinigten Lutherischen Kirche vor. Er wollte Wurm und Niemöller (die noch keine fertigen Pläne ausgearbeitet hatten) zuvorkommen, da er damit rechnen mußte daß die Treysaer Kirchenführerkonferenz irgendetwas über die DEK-Nachfolgeorganisation beschließen würde. Er forderte deshalb Paul Fleisch und Hermann Sasse auf, einen Entwurf für einen festeren Zusammenschluß, eine "Vereinigte Ev.-Luth. Kirche in Deutschland", anzufertigen. Meiser wollte außerdem in Treysa ein Konzept für eine lockere Konföderation aller Landeskirchen präsentieren und zuvor vollendete Tatsachen durch den Beschluß über die Lutherische Kirche schaffen. Dieser Plan entsprach den Vorstellungen, die er seit 1933 vertreten hatte.

Damit begann die dornige Gründungsgeschichte der VELKD im engeren Sinne. Meiser lud für den 26./27. August 1945 nach Treysa die dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen zu einer "Lutherischen Bischofskonferenz" ein; schon aus dieser Terminierung wird deutlich, daß er der allgemeinen Konferenz zuvorkommen wollte, wobei auch die Reaktion auf Niemöllers Einladung für die Frankfurter Tagung mitspielte.

Beraten wurde über die "Grundzüge einer Verfassung für eine Vereinigte Ev.-Luth. Kirche Deutschlands", die eine Bundeskirche unter Wahrung der landeskirchlichen Autonomie auf lutherischer Bekenntnisgrundlage mit vier Leitungsorganen (Bischofskonferenz, Leitender Bischof, Generalsynode und Oberkonsistorium) vorsah.

Im übrigen stand man vor folgender Alternative: Ersetzt werden müßte die zerfallene DEK entweder durch eine "neue, eine verbesserte Unionskirche" oder durch den föderativen Verbund zweier beziehungsweise dreier "Konfessionskirchen". Da keiner die erste Lösung wollte, blieb nur die zweite. Dies deckte sich mit Meisers Plan.

Vielleicht kann man so sagen: daß die alte Drei-Säulen Theorie von 1933 abgelöst wurde durch eine neue Blockbildung; die großen Konfessions-Zusammenschlüsse waren das Wesentliche, und über ihnen war nicht mehr wie bei den "Säulen" ein Dachverband vorgesehen, sondern eine DEK-Nachfolgeorganisation wäre auf die Kontaktpflege zwischen den Blöcken beschränkt gewesen.

Wurm lehnte diesen Plan für Württemberg ab. Er verwies auf die zurückhaltenden Beschlüsse der Bruderratstagung und plädierte für Vertagung, um eine Spaltung zu vermeiden. Er wollte also seine Kirchenführerkonferenz auf der Basis des Einigungswerkes zum Ziel führen und den Neubau nicht durch eine lutherische Kirche gefährden lassen. Offenbar hatte er sich tags zuvor mit Niemöller entsprechend verständigt.

Ohne den alten Kampfgefährten Wurm beziehungsweise die württembergische Kirche wollte Meiser die Lutherische Kirche nicht proklamieren. So wurde die Gründung aufgeschoben. Eine von Hanns Lilje zusammen mit Georg Merz und Volkmar Herntrich entworfene Erklärung enthielt nur noch die Ankündigung, daß der Lutherrat beabsichtige, "bei der Neuordnung der DEK die Lutherische Kirche in Deutschland zur Darstellung zu bringen", und einen Ausschuß mit dem Entwurf einer Verfassung beauftragt habe.

Das Ergebnis von Treysa 1945 war also ein unklarer Schwebezustand. Wenn die Kirchenführerkonferenz am 30. August eine "Vorläufige Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland" mit Bildung des Rates der EKD beschloß, dann brauchte das noch nicht das definitive Scheitern von Meisers (und Fleischs) Plan zu bedeuten.

Doch dieses EKD-Provisorium entwickelte eine eigene Dynamik, die es schon bald unmöglich machte, den ursprünglichen Plan zu verwirklichen, der ja eine Auflösung der DEK durch Bildung von Konfessionskirchen vorsah. Hinfort mußte die Gründung einer VELKD als Konkurrenz zur EKD erscheinen, weswegen es sehr schwierig wurde, ihre Plausibilität zu begründen. Nun stand ja im Planungsstadium eine Evangelische Kirche neben einer Lutherischen Kirche, und die folgenden Jahre bis 1948 brachten ein konfliktreiches Ringen um die Verwirklichung der unterschiedlichen Konzeptionen.

Was man 1945 durch rasches Handeln vermeiden wollte, bestimmte die folgende Gründungsgeschichte: Nicht die EKD geriet unter Legitimationsdruck, sondern die VELKD, wobei die Diskussion 1946 bis 1948 weithin beide als einander im Grunde ausschließende Alternative sah. Wenn beide als Kirche verstanden wurden, war das unvermeidlich. Dann sprach vieles dafür, nur die EKD, nicht aber die VELKD zu etablieren.

Es war vor allem dem unbeirrbaren Durchsetzungsvermögen der Bayern und Hannoveraner (Meiser an der Spitze) zu verdanken, daß der Gründungsplan im Jahre 1946/47 in eine erfolgreiche Verfassungsarbeit überführt werden konnte. Doch ein für die VELKD ursprünglich konstitutives Element mußte entfallen: die Verhinderung einer EKD als Kirche, aber auch als eines Unikum, welches verfassungsrechtlich bloß ein Bund sein konnte, weil es theologisch (noch) keine Kirche war, und welches doch geistlich eine Kirche verwirklichen sollte, weil es die "Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland" sichtbar machte (so die berühmte, viel diskutierte Spannung innnerhalb des Artikels 1 der EKD-Grundordnung).

Je mehr die EKD tatsächlich Kirche wurde (als ausgebaute Organisation mit einem wachsenden Instrumentarium an Einrichtungen und Zuständigkeiten, aber auch als geistliche Realität), desto dürftiger erschien das Kirchesein der VELKD im Spannungsfeld zwischen Landeskirchen und Zusammenschlüssen. ...

Literatur:

  • Wilhelm Halfmann, Lutherische Kirche und Evangelische Kirche in Deutschland. Pröpstekonferenz 12. Februar 1947, in: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte. Band 2, Husum: Matthiesen 2015, S. 201-244.
  • Wilhelm Halfmann, Barmer Erklärung und lutherisches Bekenntnis. Flensburger Lutherische Konferenz, 1. und 2. Oktober 1947, in: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte. Band 2, Husum: Matthiesen 2015, S. 245-267.
  • Friedrich Hauschildt, Evangelisch und Lutherisch 1986. Das Miteinander der Konfessionen im deutschen Protestantismus. Sonderdruck aus "Lutherische Kirche in der Welt". Jahrbuch des Martin-Luther-Bundes, Folge 34/1987.
  • Wolf-Dieter Hauschild, Konfessionelles Selbstbewußtsein und kirchliche Identitätsangst. Zur Gründung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands im Jahre 1948, in: Jürgen Jeziorowski (Hg.), Kirche im Dialog. 40 Jahre Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, Hannover: Luth. Verlagshaus 1988, S. 19-47.
  • Friedrich-Otto Scharbau, Zur Neuordnung des Protestantismus in Deutschland nach Reichskirche und Kirchenkampf. Einleitung zur Edition von zwei Beiträgen Wilhelm Halfmanns zur Diskussion über die Entwicklung gesamtkirchlicher Strukturen in Deutschland nach 1945 (postum herausgegeben von Rainer Hering), in: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, Band 2, 2015, Seite 159-200.