Blicken wir auf den synodal bestimmten Neuanfang in der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes, stellen wir wie bei den Bekenntnissynoden 1935 und 1936 die Konzentration auf wenige entscheidende Themenkreise fest.
An erster Stelle steht das Bemühen, von Schrift und Bekenntnis her Licht und Orientierung in das Dunkel von Leid, Schuld, Ratlosigkeit und Verwirrung zu bringen. In einer Zeit, da der Glaube an den lebendigen, in der Geschichte handelnden Gott in einem Abgrund von Nihilismus zu versinken drohte, war die 1. Vorläufige Synode mit ihrem gottesdienstliche Auftakt ein Ruf zurück zu dem vergebenden, segnenden, den Weg nach vorn öffnenden Gott. Es gilt, von ihm alles zu erwarten.
Halfmann setzt Wegmarken. Ich zähle sie noch einmal auf:
1. Nötig ist eine handlungsfähige Kirchenleitung.
2. Die Entnazifizierung muss bewältigt werden. In diesen Rahmen gehört die Visitation, dazu gehört auch das von der 1. vorläufigen Synode an durchgehend behandelte Thema: Pfarrstellenbesetzungsrecht - eine scheinbar trockene Materie, aber mit Gewicht, denn die Gemeinde braucht für ihr zentrales Amt den richtigen, qualifizierten (damals) Mann, und: sie muss sich auch von dem falschen, unqualifizierten trennen können.
3. Jugendarbeit und Religionsunterricht: wir sind der jungen Generation verantwortlich - der Kirchenkampf hat das evident gemacht.
4. Hilfswerk und Flüchtlingshilfe rufen nicht nur nach dem Barmherzigen Samariter, sondern auch nach dem, was man heute "Willkommenskultur" nennt. Halfmann fordert schon 1945: wir sollen sie willkommen heißen - im Gegensatz zu denen, die sie als unwillkommene Eindringliche ablehnten. Hilfswerk und Gemeinden sind zu gemeinsamem Tun aufgerufen.
Mit außerordentlichem Aufwand behandelten die ersten 3 vorläufigen Synoden das Thema "Struktur, Besetzung und Dienstsitz des leitenden geistlichen Amtes", des Bischofsamtes in der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche. In die Gestaltung des Doppelamtes in Kiel und Schleswig wird viel Energie investiert, auch Streit bleibt nicht aus, und das nicht aus hochkirchlichem, gemeindefernem Interesse, sondern weil ein gründlich korrumpiertes Amt bekenntniskonform, der Gemeinde dienend und personell in Ordnung gebracht werden musste. Die angestrebte Revision der landeskirchlichen Verfassung von 1922 hat ebenfalls diesen Hintergrund: Wir wollen wieder eine verlässliche Kirche sein auf einer für alle verbindlichen rechtlichen Grundlage.
Die Frage der Eingliederung in EKD und VELKD übergehe ich jetzt, auch die sog. Südschleswig-Frage, also das Verhältnis zur dänischen Kirche in einer Zeit, als eine erneute Verschiebung der Grenze nach Süden nicht unmöglich schien, ebenfalls die Frage des personellen und inhaltlichen Neuanfangs der Theologischen Fakultät Kiel.
Ich beschränke mich auf die genannten Punkte. Was zeigen sie? Sie zeigen eine Kirche, die wieder Kirche Jesu Christi sein will nach Jahren der Verwüstung, und eine Kirche, die wie der Samariter die Menschen sieht, die Hilfe brauchen, und weiß, was zu tun ist. Wir begegnen gleichsam einem Drehbuch des Neuanfangs, das uns zu Respekt nötigt.
Alles ist an Gottes Segen gelegen - es mag pathetisch klingen, was Martin Pörksen in seiner Eröffnungspredigt konstatiert. Jeder mag selbst beurteilen, ob es ein gesegneter Neuanfang war, der das Nachfolgende bestimmt hat.
Kurt Jürgensen zieht in seinem großartigen Buch über den Neuanfang in Schleswig-Holstein "Die Stunde der Kirche" eine Bilanz über die wegweisende 1. Vorläufige Landessynode: "Unbeschadet der verschiedenen, mehr von der Vergangenheit bestimmten Richtungen hatten sich die Synodalen für die Aufgaben der Gegenwart und Zukunft zu gemeinsamem Tun zusammengefunden. Dabei sollte man nicht von einem 'Sieg' der einen Richtung über die andere sprechen. Vielmehr handelten alle Synodalen auf der Grundlage des im Mai 1934 in der Barmer Theologischen Erklärung festgelegten und im Juli 1935 auf der schleswig-holsteinischen Bekenntnissynode erneuerten Bekenntnisses zu Jesus Christus als den alleinigen Herrn der Kirche. Dieses Bekenntnis führte sie alle zu den gemeinsamen sachlichen und personellen Beschlüssen des 16. August 1945 zusammen. Diese leiteten - schon im Empfinden der Zeitgenossen, aber erst recht im Rückblick von heute - einen neuen Abschnitt in der Geschichte unserer Landeskirche ein."
Ich bin dankbar, in diesem Abschnitt groß geworden zu sein.
Karl Ludwig Kohlwage, Breklum, den 6. März 2017