Rein äußerlich betrachtet bieten die Ämter und die inhaltlichen Positionen, die Hasselmann während des Kirchenkampfes im Dritten Reich sowie unmittelbar davor und danach eingenommen hat, ein zunächst widersprüchliches Bild.
In den frühen dreißiger Jahren bis ins erste Halbjahr nach der Machtergreifung Hitlers vertrat Hasselmann einen kritischen Standpunkt gegenüber dem Nationalsozialismus, dessen weltanschaulichen Totalitätsanspruch er als unvereinbar mit christlicher Religion und evangelischer Kirche ablehnte. In diesem Sinne wirkte Hasselmann in seiner Altonaer Luther-West-Gemeinde, nutzte er die politische Herausforderung nach dem Altonaer Blutsonntag, um im Kreise gleichgesinnter Pastoren das Altonaer Bekenntnis mitzuerarbeiten und später gegen nationalsozialistische Anfeindungen zu verteidigen, und steuerte er zweieinhalb Jahre lang als Schriftleiter den Kurs der Niederdeutschen Kirchenzeitung.
Ab Herbst 1933 treffen wir Hasselmann dann unvermittelt an anderem Ort, in einem höheren kirchlichen Amt und in dem seiner bisherigen kirchenpolitischen Überzeugung entgegengesetzten Lager an. Er war Mitglied der Deutschen Christen geworden, die die Kirche vom Nationalsozialismus her neuzugestalten sich anschickten, und als DC-Mann hatte die neue deutschchristliche Kirchenleitung ihn ins Flensburger Propstenamt berufen, daneben ihn mit der DC-Leitung im Stadt- und Landgebiet der Propstei betraut. Hasselmann entfaltete sich hier 1933/34 zum führenden Exponenten der Deutschen Christen im kirchenpolitischen Kampf gegen die auf kirchlicher Selbstbestimmung beharrende Bekenntnisgemeinschaft (BK), in deren Lager seine Freunde aus der Altonaer Zeit standen.
Eine dritte Position zeichnet sich gegen Jahresende 1934 ab, als infolge innerer Schwierigkeiten der Reichs-DC nun Landesbischof Paulsen die schleswig-holsteinische Landeskirche aus der Reichskirchenorganisation zurückzog, selbst aus den DC austrat, und Hasselmann ihm darin folgte. Er gründete im Auftrag des Bischofs eine Landeskirchliche Front, die als Sammelbewegung der kirchlichen Mitte die bisherigen Fronten von DC und BK überwinden wollte. Die Leitung dieser Mittelfront hat Hasselmann schon nach wenigen Monaten abgegeben: in der 1935 geschaffenen Nachfolgeorganisation, der Lutherischen Kameradschaft, war er nicht mehr an gestaltender Stelle beteiligt. Er scheint sich aus den Frontreihen des Kirchenkampfes zurückgezogen zu haben, - an seinem 1933 erlangten Propstenamt hielt er jedoch fest.
Am schwierigsten ist in den Quellen und in der Literatur Hasselmanns letzte kirchenpolitische Station zu bestimmen, die seiner Annäherung an die Bekenntniskirche. Daß er einen solchen Schritt vollzogen hat und ihm dieser auch überzeugt abgenommen worden ist, steht durch die Tatsache außer Zweifel, daß Hasselmann im Herbst 1945 für den ausscheidenden Hans Asmussen in die Vorläufige Kirchenleitung gewählt wurde und er in dieser Rolle fortan führend neben Präses Halfmann, dem Bekenntnistheologen von 1933, an der Neuordnung der Landeskirche mitwirkte.
Um Hasselmanns Bekenntnisannäherung, die im kirchengeschichtlichen Zusammenhang ja eine Rückkehr zu seinen Positionen der frühen dreißiger Jahre vor der DC-Hinwendung wäre, recht zu beurteilen, käme es entscheidend darauf an, unter welchen Umständen, mit welcher Begründung und zu welchem Zeitpunkt sie erfolgt ist. Wäre sie erst nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches geschehen, würde ihr ein Hauch von Nachträglichkeit, von bloßer post-festum Einsicht, eventuell sogar von Opportunität anhaften. Ganz anders stünde es um die Glaubwürdigkeit seiner BK-Annäherung, falls Hasselmann sie bereits vor dem Mai 1945 öffentlich und wirksam vollzogen hätte. Dann wäre seine Abwendung von der Mittelfront und seine Hinwendung zur Bekenntnisgemeinschaft noch während der Kirchenkampfzeit und aus ihr heraus erwachsen.
Dieser Nachweis kann hier für das Frühjahr 1941 geführt werden bei Hasselmanns personalpolitischem Einlenken zugunsten der starken BK-Front unter der Flensburger Pastorenschaft; diesen Kurs setzte er fort mit seiner Befürwortung des vom württembergischen BK-Bischof Wurm 1942/43 vorgeschlagenen kirchlichen Einigungswerkes.
Neben diesem Einzelnachweis verfolgt die Untersuchung zwei übergeordnete Ziele: Sie möchte von der begrenzten kirchenpolitischen Biographie her einige mosaiksteinartige Beiträge zum Gesamtgefüge des Kirchenkampfes in Schleswig-Holstein leisten, besonders zu den kirchlichen Gruppenbildungen; sie möchte weiterhin einer Persönlichkeit, die allein schon durch die Spannbreite ihres Wirkens bereits den Zeitgenossen zu Anfeindungen und Mißverständnissen Anlaß bot, zu einer historisch distanzierten und sachgerechten Beurteilung verhelfen. Denn das verwerfende Urteil jenes Zeitgenossen und Weggefährten aus der DC-Zeit, der noch 1968 eine persönliche Gedenkrede auf Hasselmann ablehnte, weil er "überhaupt nie verstanden hätte, wie man sich so ändern und dann mit der BK habe zusammenarbeiten können", sagt doch über Hasselmann wenig, über den Urteilenden jedoch sehr viel aus. Karl Hasselmann hatte sich von der DC- und deren Nachfolgefronten spätestens 1941 aus erkennbaren Gründen gelöst, jener Amtsbruder hatte diesen Schritt noch 1968 nicht getan! Ein solches Fehlurteil eines Zeitgenossen verweist gerade den Historiker auf seine spezifische Aufgabe, im Falle Hasselmanns sich nicht nur mit der Tatsache des kirchenpolitischen Wandels zu begnügen, sondern vor allem nach den tieferen Ursachen und Begründungen zu forschen. ...
Klauspeter Reumann, Der Altonaer Pastor und Flensburger Propst Karl Hasselmann. Stationen des kirchenpolitischen Wandels (1933 bis 1945), in: ders. (Hrsg.), Kirche und Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte des Kirchenkampfes in den evangelischen Landeskirchen Schleswig-Holsteins, Neumünster: Wachholtz 1988, S. 85-131, hier S. 85-87.
November 1936: Hasselmann sah ... einen antichristlichen Kurs der nationalsozialistischen Staatspartei heraufziehen, dem er in seinem Verantwortungsbereich unbedingt entgegentreten müsste. Das war für einen Propst, der im Herbst 1933 sein kirchliches Leitungsamt eben als Nationalsozialist und Deutscher Christ erhalten hatte, eine denkwürdige, kritische Distanz. Hasselmann berief schon für die folgende Woche den propsteileitenden Synodalausschuss ein. Wegen der Kürze der Frist konnte nur gerade die notwendige Mindestzahl der Mitglieder teilnehmen; zur politischen Absicherung war es wichtig, dass als weltliches Mitglied der Stadtschulrat und Parteigenosse Robert Mittag erschienen war. Die anwesenden Mitglieder stimmten dem Propst bei, dass die Ausführungen Börgers als "Ausfälle" und "Angriffe" gegen die Kirche zu bewerten seien und dass kirchenoffiziell geklärt werden solle, ob diese etwa, wie in kirchlichen Kreisen vermutet wurde, aus dem Berliner Propagandaministerium (Dr. Goebbels) heraus veranlasst worden seien.
Hasselmann reiste mit diesem Auftrag ins Kieler Landeskirchenamt. Dessen amtierender Präsident, Dr. Christian Kinder, entschärfte den Flensburger Protest in zweierlei Richtung. Zunächst bewirkte er durch seine Parteikontakte, wahrscheinlich über den Gauleiter der NSDAP, Hinrich Lohse, dass Börger in seinem nächsten Vortrag in Kiel die beanstandeten kirchenfeindlichen Angriffe nicht wiederholte. Zum anderen verwies Dr. Kinder den Propst zuständigkeitshalber an die Kirchenleitung, den Landeskirchenausschuss; diesem legte Propst Hasselmann dann den Vorfall dar und ersuchte ihn, "die antikirchlichen Ausführungen ... bei allen in Frage kommenden Instanzen der Partei und des Staates zum Gegenstand der Beschwerde zu machen."
Der Landeskirchenausschuss nahm sich "mit Entrüstung der Ausfälle ... gegen Kirche und Christentum" an, er qualifizierte sie sogar als Teil einer zentralen Kampagne der NSDAP, als Vorstöße, "die leider nicht vereinzelt vorkommen, sondern in allen Kirchengebieten Deutschlands in ähnlich starkem, wenn nicht noch stärkerem Maße beobachtet" würden. Er leitete den Fall an den Reichskirchenausschuss in Berlin weiter, der sich schließlich ausdrücklich und öffentlich hinter die "würdige und treffende Abwehr der Angriffe" stellte, die der Flensburger Propst und seine Geistlichen getroffen hätten. Allerdings besaß ein solches Urteil der Kirchenausschüsse zu jenem Zeitpunkt - Jahreswende 1936/37 - nur noch ein vermindertes Gewicht, denn das Reichskirchenministerium, speziell der neu ernannte Staatssekretär Dr. Hermann Muhs, arbeitete ihnen entgegen und zielte bereits auf ihre Ausschaltung. Auch dieser Kurswechsel resultierte aus dem wachsenden Einfluss des Weltanschauungsflügels der NSDAP.
Auf der zentralen Reichsebene des Staates und der obersten Machtebene der Partei bewirkte solcher Widerspruch wie der Flensburger kein Innehalten, geschweige denn eine Umkehr. In der Provinz Schleswig-Holstein aber zwang er die kirchenleitenden Organe, konkret dazu Stellung zu beziehen, und in der Region Flensburg Stadt und Land drang der Konflikt bis in die Gemeinden durch: dank der dritten und nun nachhaltigsten, weil theologischen, Initiative des Propstes, einer in den Gottesdiensten verlesenen Kanzelerklärung. ...
Während der auf den Börger-Vortrag folgenden Woche suchte Hasselmann außer dem Synodalausschuss und der Kirchenleitung auch noch die Gemeinden einzubeziehen. Er verfasste ein "Wort an die Gemeinden der Propstei Flensburg", das er mit deren Pastoren abstimmte. Der Zustimmung der 11 Pastoren der Bekenntnisgemeinschaft konnte er sich sicher sein, ebenso der Gefolgschaft derjenigen, die sich, wie er selbst, von den Deutschen Christen gelöst hatten und nun eine ungebundene Mittelfront bildeten. Diese brachten weitere 8 Befürworter ein. So stellte sich innerhalb weniger Tage von den 23 Geistlichen der Propstei eine klare Mehrheit von 19 Pastoren verantwortlich hinter diese Botschaft und verlas sie schon in ihren Sonntagsgottesdiensten am 29. November. Die Kanzelerklärung war deshalb eine repräsentative Gegenäußerung der Kirche über die bestehenden kirchenpolitischen Gruppen hinweg und zugleich eine fast einheitliche Front gegen die nationalsozialistischen Weltanschauungskräfte und deren Gleichsetzung von Antisemitismus und Christentumsfeindlichkeit.
Die Erklärung zitiert zunächst die beanstandeten Äußerungen des Parteiredners Börger und gibt darauf die richtigstellende Antwort, dass die christliche Kirche nur die Juden der alttestamentlichen Zeit als das von Gott auserwählte Volk betrachte, nicht jedoch "die Juden von heute"; die stünden vielmehr "seit der Kreuzigung Christi bis heute unter dem Fluche Gottes" (Hervorhebung Reumann). Die ganze Bibel aus Altem und Neuem Testament sei aber die unverzichtbare Grundlage christlicher Kirche.
Nach dieser Kernposition wird noch Börgers Verknüpfung von Christentum und Bolschewismus zurückgewiesen, indem die Pastoren beteuern, die christliche Kirche stehe selbst in der "Kampffront gegen den Bolschewismus" - eine aktuelle Anspielung auf die von Partei und Presse groß herausgestellten Priestermorde in Russland und Spanien. Dadurch bekundeten Propst und Pastoren einen dem NS-Staat und der Kirche gemeinsamen Antibolschewismus.
Die abschließende Aufforderung an die Gemeinden zur Kirchentreue mündet in eine teils traditionelle, teils zeitangepasste Fürbitte für "Volk, Vaterland und Führer", kennzeichnenderweise aber nicht für die nationalsozialistische Bewegung und ihre Partei. Eine solche Unterscheidung und wertende Abhebung von Staat und Partei war 1936 freilich eine Illusion, der dann auch Halfmann in seiner Judenschrift erlag.
Die Flensburger Kanzelerklärung vom 29. November 1936 bezeugt eine weitestgehend geeinte Pastorenschaft, die durch den Vorwurf von der "verjudeten" Kirche zur gemeinsamen Abwehr zusammenfand und sich dafür der traditionellen Argumentation des christlichen Antijudaismus bediente. Dieser wies den Juden die Schuld zu, Jesus als Gottessohn geleugnet und ihn der Kreuzigung ausgeliefert zu haben. In der zweimaligen Distanzierung der Erklärung von den heutigen Juden bahnt sich bereits an, dass dieser Antijudaismus der Kirche, wenn auch indirekt, den Antisemitismus der NS-Partei und des NS-Staates bestärken konnte, ja musste. ...
Diese mangelnde Differenzierung, die der von Hasselmann und Halfmann geäußerten antijudaistischen Argumentation zu Recht anzulasten war und ist, leistete ungewollt dem pauschalen rassischen Antisemitismus des "Stürmer", der NSDAP und des NS-Staates Vorschub. Wie die Partei den Antisemitismus gegen die Kirche instrumentalisierte, so taten es die beiden Geistlichen mit ihrem Antijudaismus, freilich zum Selbstschutz ihrer angegriffenen Kirche. Jede Seite profilierte sich, indem sie den Gegner einer Nähe zum Judentum zieh, was im nationalsozialistischen Deutschland gleichsam als ein Verwerfungsurteil galt. Darin lag eine Ähnlichkeit der Argumentationsmittel.
Die Strategie Hasselmanns und Halfmanns, dem "Verjudungs"-Vorwurf des NSDAP-Redners mit dem Beweis des jüdisch-christlichen Gegensatzes und der gemeinsamen Christentumsfeindschaft von Juden, Bolschewisten und "Völkischen" zu begegnen, mag in der konkreten Situation vom November/Dezember 1936 zunächst entschieden, mutig und wirkungsvoll gewesen sein; langfristig war sie doch eine frühe Stufe jener fatalen Entwicklungslinie, die sich dann 1938 in den Novemberpogromen und seit Kriegsbeginn in den Deportationen und Ermordungen der Juden unterschiedslos entlud.
Auszüge aus: Klauspeter Reumann, "... Filialen der jüdischen Synagoge". Zur Entstehung von Wilhelm Halfmanns "Die Kirche und der Jude" 1936, in: Grenzfriedenshefte, H. 3, Flensburg, 2004, S. 163-178 (dort auch die hier nicht wiedergegebenen Nachweise und Anmerkungen).