Unmittelbar nach Hans Asmussen spricht Pastor Halfmann-Flensburg über die "Gegenwartsaufgaben der Schleswig-Holsteinischen Kirche". Asmussen hat den großen Überblick gegeben, "meine Aufgabe ist es, in diesen Rahmen die besonderen Aufgaben der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche hineinzuzeichnen". Halfmann knüpft bewusst an den Kirchenkampf der BK an.
Diese 1. Nachkriegssynode nimmt das Vermächtnis der 1. Bekenntnissynode vom 17. Juli 1935 in Kiel auf, die das öffentliche Zeichen der "Selbstbesinnung der Kirche auf ihre unverrückbaren Grundlagen und Maßstäbe" war. Ihr Leitmotiv "Was vor Gott recht ist" gilt auch heute.
Welche Aufgaben hat nun diese Synode?
Die erste und wichtigste Aufgabe ist die Bildung einer Kirchenregierung, also einer neuen Kirchenleitung. Diese muss umfassende Vollmachten haben, vor allem das Recht, die Kompetenz der Verwaltungsbehörde des Landeskirchenamtes zu begrenzen. Es darf nicht vergessen werden: Die "Gleichschaltung der Landeskirche war 1933 im Schoß der Verwaltungsbehörde vorbereitet und fand in ihr kein Hemmnis".
Eine eindeutige Reglung ist notwendig: "Das LKA untersteht der Dienstaufsicht der Kirchenregierung und hat die ihm von dieser erteilten Aufträge auszuführen", wie es schon die Verfassung von 1922 bestimmt. "Die Verwaltung soll nicht selbstherrlich sein, sondern muss im Dienst des kirchlichen Zwecks stehen, der Predigt des Wortes Gottes." Maßgebend für die Ordnung der Kirche ist das Bekenntnis. "Die geistliche Leitung muss den Apparat beherrschen."
Halfmann wird an diesem 1. Punkt so ausführlich und deutlich, weil er hier den Krebsschaden der Kirche sieht, das Eingangstor für die Zerstörung von Kirche, Evangelium, Glauben und rechtlicher Ordnung. Sein konkreter Vorschlag ist: eine Kirchenleitung zu wählen, die aus 7 synodalen Mitgliedern besteht, 4 geistlichen und 3 nichtgeistlichen, dazu der Präsident des LKA als geborenes Mitglied. Die Bildung dieser Kirchenleitung, die "vom Vertrauen der Landessynode getragen und mit hohen Vollmachten ausgestattet ist", sei der wichtigste Beschluss der Synode.
Die Aufgaben dieser (bis zur Verabschiedung einer endgültigen Verfassung noch) vorläufigen Kirchenleitung beschreibt Halfmann sehr detailliert, orientiert an den faktischen Notwendigkeiten, wie sie sich 1945 darstellen.
Die 1. Aufgabe ist die Vorbereitung einer ordentlichen oder verfassunggebenden Landessynode, also Überwindung des Vorläufigen.
Die 2. Aufgabe - Halfmann nennt sie die schwierigste, umfassendste und delikateste und findet anfangs gar kein richtiges Wort für sie - betrifft die Personal- und Sachentscheidungen, die im nationalsozialistischen Geist und unter nationalsozialistischem Druck stattfanden und nun "bereinigt" werden müssen. Es geht also um Entnazifizierung.
Halfmann ist froh, mitteilen zu können, dass Landesbischof Paulsen sein Amt "freigegeben" hat, andere Amtsträger werden es auch tun. "Ich darf bei dieser Gelegenheit die Erklärung abgeben, dass es unser heiliges Anliegen ist, die Vorgänge von 1933 nicht mit umgekehrten Vorzeichen zu wiederholen, haben wir damals die aus Parteigründen geschehenen Amtsentsetzungen als unkirchliche bekämpft, so stehen wir heute noch auf dem gleichen Standpunkt."
Er setzt auf Einsicht und freiwillige Rückgabe eines Amtes, "dessen Ursprung heute keine Vollmacht mehr verleiht". Wer das tut, könnte neue persönliche Autorität zurückgewinnen. "Es wird aber trotzdem noch eine schwierige und oft peinliche Aufgabe sein, den rechten Mann an die rechte Stelle zu bringen und den falschen weg! Diese Arbeit muss getan werden auf dem Weg der Visitation", die seit 12 Jahren zum Schaden der Pastoren, der Gemeinden und der Kirchenleitung nicht geschieht. Die Kirchenleitung muss ihr besonderes Augenmerk auf eine intensive Visitationstätigkeit richten.
Neben den Personalfragen muss die Kirchenleitung prüfen, welche Gesetze und Verordnungen aus der Nazizeit aufzuheben sind. Halfmann nennt ein Beispiel: "Es ist klar, dass eine Verordnung wie die über den Ausschluss von Evangelischen nichtarischer Abstammung aus der kirchlichen Seelsorge ihre Zeit gehabt hat" - als ob sie je ihre Zeit gehabt hätte. Es wird deutlich, dass noch ein Weg bis zum angemessenen sachlichen und sprachlichen Umgang mit dem Ungeist der NS-Zeit zurückgelegt werden muss.
Die 3. Aufgabe einer neuen Kirchenleitung ist die Frage des Katechumenats oder des Unterrichts der getauften Jugend im christlichen Glauben. Der Kirchenkampf mit seiner Erfahrung der massiven ideologischen, antichristlichen Einwirkung auf die Jugend hat lt. Halfmann ein starkes Verantwortungsgefühl für die Unterweisung der getauften jungen Menschen geweckt.
Der schulische Religionsunterricht muss neu geordnet werden. Halfmann skizziert 2 Möglichkeiten: entweder Religionsunterricht als staatlich-schulischer Auftrag mit kirchlich ungebundenen Lehrkräften - wobei die Kirche die prüfen können muss, ob dieser Unterricht in Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen erteilt wird - oder: Religionsunterricht als kirchlicher Auftrag mit Lehrkräften, "die dem Pfarramt koordiniert sind". Halfmann favorisiert anfangs die 2. Möglichkeit. Für die Ausbildung von Katecheten und Religionslehrern soll das Katechetische Seminar in Breklum als kirchliches Seminar anerkannt werden.
Die 4. Aufgabe betrifft die akademische Ausbildung des theologischen Nachwuchses. Sie lässt sich vorerst nur als Aufgabe benennen, denn die Universitäten sind noch geschlossen. Halfmann sieht die Gefahr, "dass die gesamt ehrwürdige Tradition der evangelischen Theologie zu Bruch geht". Es wäre ein eigenes Thema, den Wiederanfang der theologischen Fakultät in Kiel darzustellen, ich kann es nicht. Preetz wird eigenartigerweise nicht erwähnt.
Die 5. Aufgabe, mit der es eine neue Kirchenleitung sofort zu tun bekommt, ist die Not der Flüchtlinge, 900.000 mehrheitlich evangelische Flüchtlingen befinden sich im Lande, neben 1 Million kriegsgefangener Soldaten. "Die Flüchtlinge sind Boten großer Not, sie bringen in ihrer Fülle Not ins Land, aber auch Segen. Sie füllen unsere Kirchen." Ein Teil der Flüchtlingspastoren hat schon einen Beschäftigungsauftrag vom LKA oder von Pröpsten bekommen. "Unsere kleine und zu gewissen Zeiten und Orten geistlich arme Landeskirche kann geistlich groß und stark werden, wenn es gelingt, die Flüchtlinge vor Verzweiflung zu bewahren und im evangelischen Glauben zu erhalten. Das ist wohl die Hauptaufgabe, die wir an ihnen haben. Wir sollen sie willkommen heißen in unserer Kirche."
Halfmann schlägt die Gründung eines besonderen kirchlichen Hilfswerkes vor und kommt damit zu seinem letzten Punkt: "Der Totelanspruch des NS-Staates hat der Kirche weithin die Aufgaben der christlichen Liebestätigkeit abgenommen und der NS-Volkswohlfahrt übertragen. Dieses Monopol ist zusammengebrochen und ein Trümmerfeld. Auf dem Trümmerfeld liegen die Geschlagenen und warten auf den Barmherzigen Samariter, der helfen soll."
Gemeindliche Frauenhilfen helfen schon in Lazaretten und Flüchtlingslagern. Die Kirche steht wie zu Wicherns Zeiten vor ganz neuen diakonischen Aufgaben und muss es neu lernen: "Die Liebe gehört mir wie der Glaube." Halfmann war klar: auf die enorme Flüchtlingsnot muss eine landeskirchliche Initiative antworten.
Es ist ein großes Konzept, dass Halfmann unter der Überschrift "Gegenwartsaufgaben" vor der ersten, mühselig zustande gekommenen Synode entwirft. Ich bin Bischof Halfmann häufiger begegnet, als besonders mitreißend habe ich ihn nicht empfunden. 2 Jahre war ich Inspektor des Preetzer Predigerseminars, einen Besuch von Bischof Halfmann erinnere ich gut. Moltmanns Theologie der Hoffnung war frisch erschienen, er hatte dieses Buch dabei und präsentierte es uns mit einer für seine Person ungewöhnlichen Emphase: Das müssen Sie lesen! Das Stichwort "Hoffnung" hatte etwas in ihm ausgelöst.
Lese ich heute nach über 70 Jahren seine Darstellung der Gegenwartsaufgaben der Kirche, habe ich das Gefühl: Das ist sein Entwurf einer praktischen Theologie der Hoffnung in einer Zeit der Hoffnungslosigkeit: Gott lässt uns noch einmal anfangen, und wie 1935 können wir uns ausrichten an dem, "was recht ist vor Gott" nach Maßgabe dessen, was notwendig ist und jetzt getan werden muss.
Ich nehme an, dass an dem der Synode vorgelegten Entwurf nicht nur Halfmann, sondern mehrere gearbeitet haben, ebenso wie bei der Einladung.
Die Synode folgte Halfmann und wählte entsprechend seinem Vorschlag eine Kirchenleitung mit Halfmann als "Präses" im Vorsitz.
Bischof i.R. Völkel, den die braune Synode 1933 aus dem Amt getrieben hatte, wird zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt, eine Geste der Wiedergutmachung an dem hochangesehenen Mann, dem allerdings von einigen vorgehalten wird, er habe es an energischem Widerstand gegen den schändlichen Rauswurf mangeln lassen.
Die Wahl der Kirchenleitung ist der erste Schritt auf dem Weg zur Wiederherstellung einer legalen landeskirchlichen Struktur, vor allem aber zur Wiederherstellung landeskirchlicher Handlungsfähigkeit.