Die Streitschrift Halfmanns vor der Kirchenwahl, die dann nicht stattfindet, ist die letzte Offensive der Bekennenden Kirche in Schleswig-Holstein. Noch einmal zeigt sich der Geist der Freiheit und der souveränen Argumentation. Danach wird es stiller. Der Konflikt um das von der Reichs-BK initiierte Friedensgebet während der Sudetenkrise 1938, als Krieg drohte, gerät zum Desaster. Das Für und Wider spaltet die BK, auch in Schleswig-Holstein. Massive Beschimpfungen und Drohungen von SS, Partei und Kirchenministerium bringen diese Aktion zum Erliegen. Die Angst vor einem staatlichen Verbot der Bekenntnisbewegung wächst. Die Resignation vor der Allmacht des Staates droht überhand zu nehmen, schreibt Bielfeldt. Einzelne erkennen immer deutlicher, dass das Handeln des Staates darauf zielt, die Kirche überhaupt zu zerstören. Dagegen gilt es zusammenzustehen. Die Bekenntnisgemeinschaft konzentriert sich auf die Gemeinden und Propsteien.
Diese Entwicklung mag eine Ursache gewesen sein, dass die BK zur Pogromnacht 1938 schweigt, sie rechtfertigt den Staatsterror nicht als schicksalhafte Folge jüdischer Kollektivschuld, wie es Bischof Paulsen tut, aber sie schweigt. Die verfolgten Juden sind keine Brüder, sondern Fremde, mit denen man nichts zu tun hat, sie haben in der BK keine Hüter und Fürsprecher, anders als später die Geisteskranken und Debilen, die der Vernichtungsmedizin ausgeliefert wurden.
Dieses Schweigen hat eine lange Geschichte, in die die Veröffentlichung Pastor Halfmanns von 1936 "Die Kirche und der Jude" einzuordnen ist. Diese gegenwärtig vielgenannte Schrift ist kein antisemitisches Programm, sondern Abwehr in einer besonderen Situation. Mit ihr reagierte Halfmann auf einen Parteiredner, der in mehreren Städten Schleswig-Holsteins gezielt die ev. Kirche angriff, sie sei eine "Filiale der Synagoge" und verbreite mit dem Alten Testament das "jüdische Gift". In Flensburg traten Landrat und Polizeipräsident aus der Kirche aus, mit ihnen viele andere.
Halfmann ändert das Thema eines schon ausgearbeiteten Vortrags und wehrt sich gegen die Diffamierung mit antijüdischen Argumenten, die heute nicht akzeptabel sind, die aber damals die Nazis nicht abhielten, die Schrift zu verbieten. Dass Halfmann mit ihr den Schutz von Christen jüdischer Herkunft außer Acht gelassen hatte, wird ihm sogleich von einem Hamburger Gemeindeglied vorgehalten. Die getauften Juden hatte Halfmann nicht im Blick. Das war seine Schwäche und die der BK insgesamt. Aber dass Halfmann in Übereinstimmung mit der BK, ausgehend von dieser Schrift, den Ausschluss von Christen jüdischer Herkunft aus der Kirche betrieben und ihre Taufe annulliert habe, ist und bleibt eine böse Verleumdung.
Vor Halfmann hatte sich schon ein junger Theologe der BK, Dietrich Bonhoeffer, in einem kleinen Aufsatz mit einem ähnlichen Titel "Die Kirche vor der Judenfrage" zu Wort gemeldet, allerdings an entlegener Stelle. Im Gefolge der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre meint er, dass die Kirche "dem Staat in der Judenfrage (also in der antijüdischen Gesetzgebung) nicht unmittelbar ins Wort fallen kann", aber mit dieser Zurückhaltung und Konzession gegenüber dem Staat verbindet er die grundsätzliche Forderung: "Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet." Diese prophetische Weitsicht, die uns bis auf den heutigenTag herausfordert, hat die BK damals nicht bestimmt. Das Büro Grüber in Berlin, das Juden zur Ausreise verhalf, ließ allerdings erkennen, dass Bonhoeffer nicht ganz folgenlos geblieben ist.
Karl Ludwig Kohlwage
Aus: Karl Ludwig Kohlwage, Manfred Kamper, Jens-Hinrich Pörksen (Hrsg.): "Was vor Gott recht ist". Kirchenkampf und theologische Grundlegung für den Neuanfang der Kirche in Schleswig-Holstein nach 1945. Dokumentation einer Tagung in Breklum 2015. Zusammengestellt und bearbeitet von Rudolf Hinz und Simeon Schildt in Zusammenarbeit mit Peter Godzik, Johannes Jürgensen und Kurt Triebel, Husum: Matthiesen Verlag 2015, S. 32 f.